Zum Anstieg der Kinder- und Jugenddelinquenz nach Ende der COVID-19-Pandemie

Abstract

Im Jahr 2022 kam es in Deutschland zu einem postpandemischen Anstieg der polizeilich registrierten Kinder- und Jugendkriminalität, der in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erregt. Um über diese Debatte zu informieren, fasst dieser Artikel kriminologisches Grundwissen über Jugendkriminalität und Kriminalitätsstatistiken zusammen, unterscheidet mögliche Ursachen für einen postpandemischen Anstieg der Delinquenz und liefert eine disaggregierte Analyse der polizeilichen Kriminalitätsstatistik. Unsere deskriptive Analyse zeigt, dass sich der Anstieg auf die Bereiche Gewalt- und Diebstahlsdelikte sowie auf die 12- bis 16-Jährigen konzentriert. Zusätzliche Simulationen deuten darauf hin, dass auf die Aufhebung der kontaktreduzierenden Maßnahmen ein starker alterstypischer Anstieg der polizeilich registrierten Kriminalität unter Jugendlichen folgte. Diese Normalisierungseffekte erklären jedoch nicht vollständig den beobachteten Anstieg bei den 12- bis 16-Jährigen. Wir argumentieren, dass zeitliche Verschiebungseffekte die plausibelste Erklärung für diesen übermäßigen Anstieg bieten: Diese Kohorten hatten während der COVID-19-Jahre weniger Möglichkeiten, die entwicklungstypischen, ersten kriminogenen Erfahrungen zu machen, was dazu führte, dass einige Jugendliche die zugrunde liegenden Aktivitäten erst nach Aufhebung der Eindämmungsmaßnahmen aufnahmen. Während solche zeitlichen Verschiebungseffekte wahrscheinlich nur vorübergehend sind, legt unsere theoretische Diskussion nahe, dass die Beeinträchtigung der Schule als Ort des sozialen Lernens, als Frühwarnsystem und als Schutzraum vor und Ort der Aufdeckung von familiärer Gewalt während der COVID-19-Pandemie zu einem weiteren Anstieg der Jugendkriminalität in der Zukunft führen kann.