Einen Unschuldigen verurteilen oder einen Schuldigen auf freien Fuß setzen: Präferenz für falsch positive Ergebnisse von Strafverfahren in einer bundesweit repräsentativen Stichprobe für Deutschland
DOI:
https://doi.org/10.18716/ojs/krimoj/2023.2.1Schlagworte:
Blackstone’s ratio, Justizirrtümer, Punitivität, öffentliche Meinung, DeutschlandAbstract
Obwohl in der Rechtsprechung weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass ungerechtfertigte Verurteilungen auch auf Kosten einer wirksamen Strafverfolgung vermieden werden sollten, verliert diese Ansicht weltweit an Popularität in der Öffentlichkeit, die der Bestrafung der Schuldigen zunehmend Vorrang vor der Nichtbestrafung der Unschuldigen einräumt. Die Studie versucht, die spärliche Forschungsliteratur zur öffentlichen Meinung über die Abwägung zwischen ungerechtfertigter Verurteilung und fälschlichem Freispruch zu erweitern. Anhand einer repräsentativen Stichprobe von deutschen ISSP-Befragten werden eine Reihe von Hypothesen zur Präferenz für einen der beiden Justizirrtümer getestet. Die Abneigung gegen die Bestrafung von Unschuldigen war bei westdeutschen Befragten sowie Befragten mit hohem Bildungsniveau besonders stark ausgeprägt, während für die sozialen Gruppen, die sich durch eine hohe Kriminalitätsfurcht auszeichnen oder bei denen das Risiko einer Fehlverurteilung besteht, keine eindeutige Präferenz festgestellt werden konnte. Im Widerspruch zu kodifizierten Beweisregeln und Verfahrensgarantien würden diejenigen, die für eine bedingungslose Einhaltung des Rechts eintreten, häufig lieber Unschuldige verurteilen als Schuldige freisprechen. Die Ergebnisse werden anschließend mit Studien aus anderen Ländern verglichen und vor dem Hintergrund sozialer und kultureller Merkmale der deutschen Gesellschaft diskutiert. Die Ergebnisse können eine Forschungslücke schließen, indem sie die Aspekte erklären, die die Bereitschaft prägen, die Freiheit eines potenziell kriminellen Anderen zu opfern, um den Rest der Gesellschaft vor vermeintlichen Bedrohungen zu schützen.
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